Zweite Enzyklopädie von Tlön

Zweite Enzyklopädie von Tlön

Über das Projekt
»Wenn unsere Prognosen nicht irren, wird in hundert Jahren jemand die hundert Bände der Zweiten Enzyklopädie von Tlön entdecken.« schrieb Jorge Luis Borges 1941 im Nachtrag zu seiner Erzählung Tlön, Uqbar, Orbis Tertius. Sein Text war nach über 50 Jahren Auslöser und Inspirationsquelle für ein Projekt, das wir als den Versuch einer Rekonstruktion der Zweiten Enzyklopädie von Tlön begreifen. Fünfzig Bände sind innerhalb von zehn Jahren (1997 bis 2006) entstanden. Das Zusammentragen der richtigen Stichworte (pro Band gibt es nur ein Stichwort) und ihre Vernetzung untereinander, sahen wir als wichtige Voraussetzung für das Gelingen an. Es sollte kein Stückwerk aus beliebigen Stichwörtern sein, sondern eine zusammenhängende, dem tlönschen Geist verpflichtete Arbeit. Von Anfang an gab es Listen mit Vorschlägen für die Stichwörter. Sie veränderten sich ständig, neue kamen hinzu, alte wurden verworfen. Es bildeten sich Untergruppen: Flora und Fauna, die drei Grundfarben, die vier Elemente, der Titel der Borges-Erzählung: Tlön, Uqbar, Orbis Tertius. Je weiter das Projekt voranschritt, umso schwieriger wurde die Wahl der richtigen Stichwörter. Konnten wir am Anfang noch recht unbefangen aus einem großen Pool von Stichwörtern die auswählen, die uns gerade interessant erschienen, mussten wir im Laufe der Zeit immer mehr darauf achten, Wörter zu wählen, die uns zur Komplettierung des Gesamtbildes noch fehlten. Da unser Ordnungsprinzip das Alphabet war, sollten am Ende natürlich auch alle Buchstaben vertreten sein. Uns war bewusst, dass wir unserem vermessenenen Anspruch, eine ganze Welt in fünfzig Bände zu packen, nur in Ausschnitten und Fragmenten gerecht werden konnten, hofften aber, dass die von uns aufgefundenen Scherben eine Ahnung von dem ganzen Gebäude möglich machen würden. Borges’ Erzählung, der wir den Namen der Enzyklopädie verdanken, spielte als Inspirationsquelle eine wichtige Rolle, aber wir konnten die idealistische Welt von Tlön nur gespiegelt in unserer eigenen Welt darstellen. Schon in die ersten Bände flossen Borges-Zitate immer wieder mal sporadisch ein. Aber erst nach einigen Jahren realisierten wir, dass mittlerweile ein beträchtlicher Teil des Tlön-Textes, verteilt auf die unterschiedlichsten Bände, Aufnahme in die Enzyklopädie gefunden hatte, und entschieden uns dann, nach und nach den kompletten Text in die Enzyklopädie aufzunehmen, gewissermaßen als roter Faden, der sich auf verschlungenen Wegen durch das Projekt zieht. Da wir von Anfang an neben einer deutschen Übersetzung auch das spanische Original sowie eine englische und französische Übersetzung verwendet hatten, ist der Text nun mehrsprachig, vielstimmig in der Enzyklopädie vorhanden, teilweise nicht auf den ersten Blick erkennbar (z.B. auf dem schwarzen Vorsatz des ZEIT-Bandes). So wie sich der Text von Borges quasi von selbst, und von uns nicht von Anfang an beabsichtigt, in das Projekt eingeschrieben hat, hat das Projekt auch seine Macher beeinflusst und verändert. Die jahrelange Beschäftigung mit der Enzyklopädie ist an unserer Arbeitsweise nicht spurlos vorübergegangen. Denken und Arbeiten im enzyklopädischen Kontext sind uns vertraut geworden und in die Arbeitsweise eingeflossen. Andererseits haben sich natürlich auch unsere Lebensumstände und Orte, unsere Reisen (reale und fiktive) in dem Projekt niedergeschlagen: Menschen und Bücher, die uns beeinflusst haben. Während der Arbeit an dem Projekt haben wir versucht ausführlich, vielschichtig, umfassend, enzyklopädisch zu sein; mit unseren Mitteln. Jetzt, da die fünfzig Bände fertig vor uns liegen, erkennen wir, dass sie nur ein winziger Teil eines gewaltigen Eisberges sind, der eigentlich ein Bücherberg ist. Das meiste sehen wir nicht, weil es sich unter der Oberfläche befindet, aber wir sind uns seiner Existenz bewusst. Wir sehen das Projekt vernetzt mit einer Vielzahl anderer Bücher und sind glücklich, dass es sich durch die Aufnahme in öffentliche Sammlungen auch in der räumlichen Nähe zu einer enormen Anzahl anderer Bücher befindet.

Die fünfzig Bände sind in einer Auflage von vierzig nummerierten und signierten Exemplaren erschienen. Sie haben ein einheitliches Format von 12,5 x 20 cm, sind handgebunden. Die Rückenbreite variiert je nach Volumen des Bandes. Der gesamte Block der fünfzig Bände ist ca. 63 cm lang. Die Einbände sind mit unterschiedlichen Materialien (Leinen, Papier; bedruckt oder unbedruckt), innerhalb einer Farbskala von hell- bis dunkelgrau, bezogen. Alle Bände haben an der gleichen Stelle ein Rückenschild, auf das die ersten vier Buchstaben des jeweiligen Stichwortes gedruckt sind. Die Enzyklopädie kann nur komplett erworben werden und kostet 15.000,— Euro.


Sammlungen
Bibliotheca Librorum apud Artificem, Sydney
Bibliothèque Municipale, Saint-Quentin
Bibliothèque nationale de France, Paris
Bibliothèque nationale de Luxembourg
Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Leipzig
Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt am Main
Harvard University, Fine Arts Library, Cambridge, MA
Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel
Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar
Indiana University, Lilly Library, Bloomington, IN
Jack Ginsberg Collection of Book Arts, Johannesburg/Südafrika
Klingspor Museum, Offenbach am Main
Library of Congress, Washington D.C.
Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt am Main
Museum Meermanno, Den Haag
Niedersächsische Landesbibliothek, Hannover
Österreichische Nationalbibliothek, Wien
Princeton University Library, Princeton, NJ
Public Library, George Arents Collection, New York City
Reed College Library, Portland, OR
Rheinische Landesbibliothek, Koblenz
Rochester Institute of Technology, Rochester/, NY
Staatsbibliothek, Berlin
Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main
University of California, Bancroft Library, Berkeley
University of California, Davidson Library, Santa Barbara, CA
Victoria & Albert Museum, National Art Library, London
Wesleyan University, Olin Library, Middletown, CT
Yale University, Arts of the Book Collection, New Haven, CT

Ausstellungen

1998
Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt
2000 Walter-Tiemann-Preis, Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig
2001 Zwischenbilanz im fünften Jahr, Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel
2002 By Chance: Serendipity and Randomness in Contemporary Artists’ Books, Yale University Library, New Haven
2003 Neunte Triennale, Museum für Angewandte Kunst Frankfurt und Museum of Arts & Design New York
2004 Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt
2006 Contemporary Artists’ Books from Germany, Municipal Museum, Toyota
2007 Alle 50 Bände der Enzyklopädie, Gutenberg-Museum, Mainz
2008 Tweede encyclopedie van Tlön, Museum Meermanno, Den Haag
2008 Kolloquium und Ausstellung Die Erkundung von Tlön, Ruhr-Universität, Bochum
2012 Ausstellung und Symposium Buchkunst Total, Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt.
2012 Diamond Leaves – Brilliant Artist Books from around the World, CAFA Art Museum, Peking
2014 Éloge de la rareté, Bibliothèque nationale de France, Paris
2016 Im Dialog: Künstlerbücher von Ines v. Ketelhodt und Werke aus der Universalbibliothek von Carl Gerd v. Ketelhodt (1738 –1814), Altes Rathaus, Rudolstadt
2016 Historic Futures: Artists Reinvent the Book, Legion of Honor Museum, San Francisco/CA
2017 buchstäblich Buch, Künstlerbücher von Peter Malutzki, Klingspor-Museum Offenbach
2019 Im Licht von Raum und Zeit. Ines von Ketelhodt. Fotografien und Künstlerbücher, Klingspor-Museum Offenbach

Literatur
Typolemik – Typophilie, Mainz 2000
Faszination Buch, Leipzig 2000
Zweite Enzyklopädie von Tlön, Flörsheim 2007
Book Art Object, Berkeley 2008
No translation required, Savannah 2010
Masters: Book Arts, New York 2011
Enzyklopädien des Imaginären, Hildesheim 2011
Diamond Leaves, Beijing 2012
Translatio, Paris 2013
Die Kunst schlägt zu Buche, Offenbach 2013
Imprint, volume 49, Fitzroy 2014
Éloge de la rareté, Paris 2014
Handverlesen, Berlin 2015
Buch – Kunst – Objekt, Stuttgart 2015
buchstäblich Buch, Flörsheim/Offenbach 2017
Bücher /// Books, Flörsheim/Offenbach 2019

 
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